Sie reisen die Wolken

geplusterte Daunen
gezupftes Flies
tief im einfältigsten Himmelblau

sie reisen die Wolken

sitzen als neuer Kontinent
Pilz Wapiti auf der Flucht
Hase mit Löffelohr Ferkel ohne Bein
sperren das Maul auf und gleich wieder zu
verlieren ein Aug haben drei vier
sind ununterbrochen in Bewegung

sie reisen die Wolken

geben sich in vielerlei Grau
mit lichtstrahlenden Rändern
vernähen und trennen sich ohne Dramatik
gehen über in andere und sind doch Individuelle

sie reisen die Wolken

machen sich breit
machen sich klein
machen sich nichts daraus
etwas zu sein
ziehen los
verlieren den Rest
zerzausen sich ganz
müssen niemandes sein
galoppieren rennen verblasen die Zeit
überschlagen sich
und werden riesengross
wo sie hängen ist ihnen egal
wollen nur
weisser grauer flockiger farbiger haariger plustriger dicker dünner
anders werden von Mal zu Mal

unzählige zur Decke geeint
schon löst sie sich auf
wandern Domizil Überall

sie haben es gut
sie reisen die Wolken
und kommen nicht an

kopf

Distanz und Zeit

In meiner Strasse steht eine Häuserzeile
erinnert mich an Schweden was ich nie
besucht habe

Die Schiffe Magellans zum Beispiel
stelle ich mir mit Aufbauten vor wie Dächer
aus der Häuserreihe in meiner Strasse

Es könnte sein das einzig Nordische ist
der Himmel über Giebeln Stangen Dachgeländern
nur dieses Wort Schweden wie schweben oder schwelgen
nur der Sch-Laut es mir angetan hat zwischen Schiefer
und weissgestrichenes Holz geklemmt wie Fjorde

Bei Sonnenuntergang gleiten Spaziergängerschatten
im vierten Stock der Fassade lang fallen in die
spiegelnden Scheiben

Den dritten Stock bewohnen die Tauben
Fensterscheiben fehlen die Store dreiviertel gesenkt
ein schwarzes viereckiges Loch

In meiner Strasse steht eine Häuserzeile
erinnert mich an Schweden was ich nie
besucht habe


Vier Rosen

Vier Rosen bringst du mir
zum Fest des heiligen Valentin
von dem wir nicht wissen wie
er gefoltert wurde – zu Tode
die Rosen sind bereits abgeschnitten
vom Leben – der Wurzel

Mit einem zackigen Küchenmesser
schlitz ich die Rosenstiele
längsseitig auf jeden Tag
ein Stück höher das diene
der Wasseraufnahme
empfinden Rosen Schmerz
dem Valentin gleich versehrt
wofür – Heiliger
fürwahr – Erlöser
für wen – lebte er
wirklich – liebte er Rosen

Wir kommen aus
ohne rosige Beweise
die Blüten oszillieren in der
tief stehenden Wintersonne
im Bunde mit den Wurzeln – ein Rosenstock
meine unbedeutende Zeit die ich
verbringe du Lieber mit dir

weg

Die Lerche

Überm brachen Acker
Schollen kleben fest
an Winterschuhen
Dezember Januar – März

Unsichtbarer Meistersänger
hoch hoch oben
unter dir her stapf ich
durch Nass und schwere Erde

Wüsst nichts vom Glück
wär da nicht dein Gesang
stimmst den ganzen Himmel an
zur Freude – endlich Lenz



Strohblume

In Auflösung gipfelt ihre Vollendung
Helichrysum bracteatum eilt nicht
Vormals üppig gefärbt
Jetzt strohtrocken laubbraun
Letzte Knospen Mitte August
Fleckenlos gesättigtes Gelb
An Rändern wächst Braun
In Hell- bis Mitteltönen
Die Samenkissen teilweise intakt
Die Staubblätter sattorange bestäubt
Von den regelmässig anfliegenden Wespen
Gleichzeitig lösen sich Samen
Setzen an zum Flug

tulpen

Dieses Meer hier

Der Himmel Löschpapier
Kobaltblau das Meer
kein Horizont

Dieses Meer hier
nicht für mich

Es sind die Steinfelder
Erde sonnenverbrannt
dunkelgrün die Pinien
schwarz feuergerodete Felder

Ein Himmel dickflüssig
Pastellluft
Pietra Leccese cremegelb

Ein Orangen- ein Mandarinenbaum
kleine und grössere Segelboote
schwarz auf weiss reflektierendem Wasser

Dieser Himmel 180 Grad
bis auf alle dem Sehen zugängliche Distanz
umspülte Steinhügel
Tiefe angehoben in alle Höhen
als könnte man darin reisen
zu anderen Sternen
Galaxien
Gott
sich den Rat hohlen
den man gerne hören möchte

Trotz immenser Hitze
vibriert die Luft nicht
ein perfekt geistiger Raum
wo leises Vogelzwitschern
Klappern von Geschirr
das abgewaschen tropft
widerhallt
heisse Luft alle Feuchtigkeit wegstiehlt
Sauberkeit zurückbleibt

Die Tramontana schaukelt
ein frisch gewaschenes Hemd auf der Leine
das schon bald trocken sein wird
wiegt die Orangen- und Mandarinenbaumblätter
hält inne und alles Bewegen ruht
bis die Tramontana erneut aufkommt
heute nur schwach
stösst sie tausend Millionen
glitzernde Spitzhütchen
vor sich her
verwandelt das Meer
in einen Schmuckstückteppich

Reichtum zu gross
und der weite Himmel
blau nur teilweise

fischlein

Wolken für einen Tag

[Sonnenuntergang]

gross wie die Welt ein Mund
hat die Sonne verschluckt
herauf leuchtet Ambulanzrot
im Marienblau des Abends

sie wehrt sich vergebens
du Goldene auf morgen
auf morgen

[Sonnenaufgang]

Knospe und Wolke Gebinde
Rosenfinger frühmorgens

[Morgen]

dieser grüne Nebelstreifen
mimt das Grünkleid junger Blätter
eine fruchtbare Schicht
zwischen toter Materie

hei du falscher Frühling

davor Äste in Reih stehender Bäume
dahinter blaugrau dunkel nur Berge
mit weissen Schneekappen drauf
winterlicht und klar das Blau

[Abend]

Fingerbreit ein roter Saum
aristokratische Wolke mit Hermelin
schmeichelt dem tierischen Grau
eines riesigen Strandguts darunter
die zähe Brühe der Schatten



Spaziergang

Ich decke dich zu mit dem Wildrosenblatt
in Erinnerung – weiss – an deine trockenen Fingerspitzen
rissig vom Abwasch der immer gleichen Dinge

Ich decke dich zu mit dem Wildrosenblatt
in Erinnerung – rot –
ein Puppenhaus im dichter werdenden Unterholz

Ich decke dich zu mit dem Wildrosenblatt
kleines Eichelpüppchen
in der Erinnerung – ein Baum



Abri du Cap Blanc

das Gelb der Felsen
das Schwarz der Äste
eine Handvoll Farbe genügt
und unsere Herzen
beginnen zu schlagen
im Rhythmus der tanzenden Pferde

zwischen

3. Oktober 2005

Weisst du noch es war in Monaco
auf dem Weg zur Mole
wo Eisberge vor den Stegen ankerten

Unsere Schatten gingen unter uns
hielten sich an der Hand
um 12 Uhr 15 das Licht wurde weniger

Die Vögel flogen nicht mehr
die Insekten waren gefangen
in den geschlossenen Blumen

Es dämmerte am Mittag
das Meer verlor alle Farbe
wie Wasser in einem Glas

Während der Garçon einkassierte
glänzte das Gold der Armbanduhren falsch
blieb das elektrische Licht kraftlos

Die Haut verschattete fröstelnd
wir glaubten Lazarus zu treffen
im schlecht besuchten Strassencafé

Eine Auferstehung rückwärts
zog der Mond vor die Sonne
seine Langsamkeit war verblüffend



2. Dezember 8 Uhr 15

Schwäne säen Fragezeichen
Kommas die schlafenden Möwen

dem Wasser ist Schwarz beigemischt
im Nebel die rote Sonne versteckt

diesen Winter verlor ich drei Handschuhe
den vierten muss ich noch wegwerfen

vier Schwäne treten die Wellen – steigen
einer gibt auf – drei aber tragen

das Licht hinaus in weiss wogenden Bogen
und ich fliege mit – ich fliege mit ihnen






schoenental

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